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Am Puls der Zeit – Die Berlin-Fahrt der Q2d


Auf Einladung der Lübecker Bundestagsabgeordneten Gabriele Hiller-Ohm (SPD) nahm die Q2d vom 28. Februar bis 2. März 2018 in Begleitung von Frau Link, Frau Wessin und Frau Jebens-Ibs an einer bildungspolitischen Fahrt nach Berlin teil. Wir erwarteten spannende Einblicke in die aktuelle politische Situation, da seit der Bundestagswahl im September immer noch keine Regierung gebildet werden konnte und die SPD auf das Ergebnis der Mitgliederentscheidung zur Großen Koalition wartete.

Dreimal im Jahr dürfen die jetzt 705 Abgeordneten des Bundestages einen Bus für eine dreitägige Fahrt chartern und mit diesem Bürgerinnen und Bürger aus ihrem Wahlkreis in die Hauptstadt bringen. Das Bundespresseamt bereitet für jede Besuchergruppe ein umfangreiches Programm, die Unterbringung in Hotels und die Verköstigung in Restaurants vor – angesichts von mehreren tausend Besuchern in einem Jahr eine gewaltige logistische Herausforderung!

Die 21 Schülerinnen und Schüler der TMS absolvierten ihr Programm zusammen mit vorwiegend älteren Bürgerinnen und Bürgern, die sich für das Geschehen in Berlin interessieren oder auch parteipolitisch engagiert sind.

Modell des „Tränenpalastes“

Zum Auftakt besuchte die Gruppe den „Tränenpalast“ in der Friedrichstraße, den ehemaligen Grenzübergang nach Ostberlin. Die Dauerausstellung kreist um die innerdeutsche Grenze, dokumentiert den Bau der Mauer und illustriert das Eingesperrtsein der DDR-Bürger sowie deren Traum von der Ausreise. Während sich die älteren westdeutschen Besucher noch sehr lebhaft an die Schikanen an der DDR-Grenze und das beklommene Gefühl bei der Einreise oder bei der Fahrt über die Transitstrecke erinnerten, ist das alles für unsere um das Jahr 2000 geborenen Jugendlichen weit zurückliegende Geschichte. So fielen die Erläuterungen der Museumsführer zu den Exponaten – darunter viele Erinnerungsstücke ehemaliger DDR-Bürger – auf fruchtbaren Boden.

Koffer im „Tränenpalast“

Als bedrückend wurde empfunden, dass diejenigen, die ausreisen durften oder ausgewiesen wurden, innerhalb weniger Stunden ihre Koffer packen mussten, sich kaum von den Angehörigen und Freunden verabschieden konnten und nur das Notwendigste in einem Koffer mitnehmen durften. Kindern wurde erzählt, man fahre in den Urlaub, und so fand das Lieblingsbuch „Emil und die Detektive“ den Weg in den Westen.

Paketkontrolle im „Tränenpalast“

Eher kurios mutet dagegen das Gerät an, mit dem die DDR-Behörden die aus dem Westen gesandten Pakete durchleuchteten, um unerlaubte Waren oder westdeutsches Schriftgut ausfindig zu machen und zu beschlagnahmen.

In den engen Kabinen, durch die die Besucher damals geschleust wurden und in denen sie intensiv von den Grenzern befragt, manchmal auch zum Verhör herausgezogen wurden, empfanden nun auch unsere jungen Leute das Bedrohliche der Situation.

Viele DDR-Bürger versuchten mit allen Mitteln, dem diktatorischen Regime zu entfliehen. Die lebensgefährliche Flucht über die intensiv gesicherte Grenze kostete nach heutigen Erkenntnissen 872 Menschen das Leben. Weniger gefährlich, aber mit vielen Schikanen und Nachteilen verbunden war der offiziell gestellte Ausreiseantrag, auf dessen Bewilligung man oft Jahre wartete. 33 000 DDR-Bürger wurden für etwa 3 Milliarden DM von der Bundesrepublik freigekauft – eine willkommene Deviseneinnahme für die DDR.

Im Foyer des Bundeskanzleramtes

Das Bundeskanzleramt besuchten wir abends, als die Büros in den Seitentrakten weitgehend verlassen waren, aber die Kanzlerin noch im 7. Stock in ihrem riesigen Büro arbeitete. Da ging dann die Dame, die uns im Stock darunter das Haus und die Aufgaben des Kanzleramtes erläuterte, in den Flüsterton über und behielt die Tür von Frau Merkels Büro im Auge.

Unterhalb des Büros der Kanzlerin

Im Kabinettssaal, in dem die Regierungschefin mit den Ministerinnen und Ministern immer mittwochs von 9.30 bis ca. 10.30 Uhr tagt, fiel auf, dass die Lehne des Kanzlerstuhls nicht höher als die anderen ist. Die Glocke auf dem Tisch vor der Kanzlerin wird nur einmal zu Beginn einer neuen Legislaturperiode geläutet, was dann wohl Mitte März 2018 der Fall sein wird, wenn der Bundestag Angela Merkel wieder zur Kanzlerin wählt. Die würfelförmige Uhr in der Mitte des Tisches ist ein Geschenk des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer, der damit sein Kabinett disziplinierte, denn mit dem Zifferblatt auf jeder Seite kann auch der redseligste Minister erkennen, wann knappe Zeit abgelaufen ist.

Kabinettsaal

Sessel der Bundeskanzlerin

Großer Sitzungssaal im Bundeskanzleramt

In dem großen Sitzungssaal finden internationale Konferenzen statt, die von Dolmetschern begleitet werden. Sie müssen in den oberhalb liegenden Kabinen das Geschehen im Saal hoch konzentriert verfolgen und dürfen sich bei den Simultan-Übersetzungen keine Schnitzer erlauben.

Am Schluss wurden noch einige Gastgeschenke ausländischer Staatsgäste gezeigt, darunter die originale Lautumschrift des berühmten Satzes „Ich bin ein Berliner“ des US-Präsidenten Kennedy aus dem Jahre 1963.

Handschriftliche Notiz des amerikanischen Präsidenten Kennedy “ Ik bin ein Börliner“

Die Architektur des Kanzleramtes und die vielen Bilder und Skulpturen fanden sehr großen Anklang bei unserer Gruppe, gern wären wir noch länger durch das Gebäude gestreift. Es bleibt der Eindruck, dass sich unsere Regierung hier angemessen nach innen und nach außen präsentiert.

Hohenschönhausen, das Gefängnis der „Staatssicherheit“ der DDR

Einzelzelle in Hohenschönhausen

Am Donnerstagmorgen knüpfte der Besuch im ehemaligen Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen an die Thematik der deutschen Teilung an. Sehr anschaulich berichteten zwei ehemalige Häftlinge unserer geteilten Gruppe von der Geschichte des Gefängnisses, von ihren Erfahrungen mit der DDR-Diktatur und Erlebnisse in der Haft. Unmittelbar nach Kriegsende wurden zunächst Angehörige des Nazi-Regimes von den Sowjets als Kriegsgefangene inhaftiert, bald darauf kamen die Gegner der SED und des kommunistischen Regimes hier in Untersuchungshaft. Im Untergeschoss des ältesten Traktes, im sogenannten „U-Boot“, wurden die kleinen Fenster völlig verschlossen, so dass die Gefangenen kein Tageslicht mehr bekamen. Das elektrische Licht brannte aber bei Tag und Nacht, damit die Insassen besser kontrolliert werden konnten. Die Einzelhaft in winzigen Zellen, die vorgeschriebene Schlafhaltung während der Nacht, das Schlafverbot bei Tag und die absolute Reizarmut führte bei vielen Inhaftierten zu Zusammenbrüchen bei den Verhören und langfristig zu posttraumatischen Störungen. Der Druck auf die Gefangenen war zunächst von Gewalt geprägt; später wurden die Methoden durch gezielte Schulungen psychologisch so verfeinert, dass die Opfer sogar das Verhör durch Stasi-Offiziere als angenehm empfanden.

Der Zeitzeuge Lothar Schulz im sogenannten U-Boot

Kopie des von Lothar Schulz entrollten Plakates

Der Besuch wird uns sicher auch deshalb unvergesslich bleiben, weil Lothar Schulz, unser Begleiter durch die Gedenkstätte, sein persönliches Schicksal mit großer Inbrunst erzählte. Seine Karriere als junger, leistungsfähiger Ingenieur für Reaktorsicherheit mit Aussicht auf Forschungsaufenthalte in Moskau endete abrupt, als er nicht in die SED eintreten wollte. In den 70er Jahren blieb ihm nur der Ausweg, seine Inhaftierung zu provozieren, in der Hoffnung, dass ihn die BRD freikaufen würde. Minutiös plante er in Rostock seine Aktion, fuhr im Sommer 1978 nach Ost-Berlin und enthüllte auf dem Alexanderplatz ein großes Plakat, auf dem er die Schikanen gegen seine bulgarische Frau in einer Klinik anprangerte. Innerhalb von Sekunden wurde er verhaftet, aber westdeutsche Touristen hatten alles fotografiert und die Fotos erschienen am nächsten Tag in der westdeutschen Presse, woraus dann der Hauptanklagepunkt konstruiert wurde. Es folgten 19 Monate Haft und die Entlassung in die DDR, denn ein Sperrvermerk in seiner Akte hatte den Freikauf verhindert, wie Schulz erst nach der Wende aus seiner Stasi-Akte erfuhr. Als er 1980 eine neue Aktion plante und die Stasi davon durch ein abgehörtes Telefonat erfuhr, stellte er für die Behörden ein Sicherheitsrisiko dar und man ließ ihn und seine Frau in den Westen ausreisen.

Nach dem Mittagessen fanden wir uns zum Sicherheitscheck in den Deutschen Bundestag ein und hörten dann in der Plenarsitzung die letzten Redner zum Tagesordnungspunkt „kostenloser öffentlicher Nahverkehr“. Es folgten kurze Abstimmungen über die Weiterleitung von Gesetzesentwürfen an Ausschüsse, bevor es wieder interessant wurde. Die Abgeordneten sollten Mitglieder für verschiedene Spezial-Ausschüsse wählen, dabei verschiedenfarbige Wahlscheine abgeben und die Wahlzettel in die Urnen werfen. Souverän und humorvoll leitete der Vorsitzende Wolfgang Kubicki die Sitzung und brachte Ordnung in das Chaos, denn nicht alle behielten die Übersicht über ihr Tun. Das erinnerte uns doch stark an die Schule, wo auch manches dreimal erklärt werden muss. Ein Abgeordneter war so in seine Kommunikation mit dem Smartphone vertieft, dass er das Ende einer Wahl verpasste. Herr Kubicki blieb stur und als Jurist verweigerte er die nachträgliche Stimmabgabe. Für den Abgeordneten ist das richtig teuer geworden, denn wer nicht zur Abstimmung schreitet, muss Strafgeld bis zu 200 Euro zahlen, wie wir im Anschluss von unserer Lübecker Abgeordneten erfuhren.

Blick in den Plenarsaal

Gespräch mit der Abgeordneten Hiller-Ohm

Das Gespräch mit der Abgeordneten Gabriele Hiller Ohm drehte sich einerseits um das eben Beobachtete, andererseits um die alle Besucher bewegende Frage, ob der Eintritt der SPD in eine Große Koalition sinnvoll sei und wie wohl die am nächsten Tag endende Abstimmung der Parteimitglieder ausgehen würde. Gabi Hiller-Ohm sprach sich für die GroKo aus und erläuterte auch, warum bei ihr seit dem Wahlabend ein Sinneswandel vorgegangen sei. Sie ging davon aus, dass auch eine knappe Mehrheit in der SPD für die GroKo erreicht wird. Mit unseren Schülerinnen und Schülern diskutierte sie darüber, wie sich die SPD erneuern und mehr Profil gewinnen könne. Sehr bedenklich fanden alle, dass in den Umfragewerten die AfD noch vor der SPD liegt. Hier waren wir wirklich am Puls der Zeit.

Der Besuch endete mit einem Fototermin auf der Kuppel des Deutschen Bundestages, von der man bei strahlendem Sonnenschein einen wunderbaren Rundblick über Berlin genießen konnte.

Rainer Fettings Willy-Brandt-Statue

Diskussion mit Jürgen Große im Willy-Brandt-Haus

Das Thema „Zukunft der SPD“ stand auch am Freitagmorgen im Mittelpunkt unseres Besuchs im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale. Die Mitarbeiterin Brigit Brüns vermittelte uns die Ideen, die hinter der Architektur des beeindruckenden Gebäudes stehen (Transparenz, Ökologie), und ging ausführlich auf die überdimensionale Willy-Brandt-Statue im Atrium des Hauses ein. Der Künstler Rainer Fetting habe Willy Brandt als Menschen dargestellt, der auf andere zuging, der seine Ecken und Kanten hatte, aber auch politische Visionen entwickelte und umsetzte.

Im Tagungsraum im 4. Stock sahen wir zunächst einen Werbefilm der SPD, ein Alleinstellungsmerkmal dieser Partei, wie uns Dr. Jürgen Große erklärte. In der folgenden Stunde diskutierte er mit uns über die Lage der SPD, ging den Ursachen des Stimmungstiefs auf den Grund und skizzierte Lösungsansätze, die aber nicht alle überzeugten. Als er das dicke Buch in die Luft hielt und erklärte, dass das die Änderungsanträge für das Wahlprogramm auf dem letzten SPD-Parteitag gewesen seien, wurde allen klar, wie viele Diskussionen es in der Partei gibt und dass viel Papier bedruckt werden muss, bis ein Konsens zwischen den verschiedenen Parteiflügeln erreicht wird. „Das macht eben eine Volkspartei aus“, meinte der Referent, der während des Wahlkampfes auf Berliner Plätzen den Bürgern Rede und Antwort gestanden hatte.

Landesvertretung Schleswig-Holstein

Harald Bunten informiert in der Landesvertretung Schleswig-Holstein

Am Freitagmittag waren wir zu Gast in der Landesvertretung Schleswig-Holstein, wo uns der Büroleiter Harald Bunten erläuterte, dass die Bundesländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein das neue, zweigeteilte Gebäude errichtet haben, hier eng zusammenarbeiten und gemeinsam Großveranstaltungen planen. Anschaulich berichtete er von den vielfältigen Aufgaben der Landesvertretung, die von kulturellen Veranstaltungen („Schaufenster für Schleswig-Holstein“) über die Betreuung von Besuchergruppen bis zum Kern der Arbeit, nämlich die Vertretung des Landes im Bundesrat reichen. Da es nur wenige Bundesbehörden gibt und die vom Bundestag beschlossenen Gesetze von den Behörden der Bundesländer umgesetzt werden müssen, wird bei jedem Gesetzesvorhaben der Regierung zuerst der Bundesrat informiert. Denn man braucht den praktischen Sachverstand der Länder, bevor ein Gesetz beschlossen wird. Hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, geht es wieder an den Bundesrat, wobei aber nicht jedes Gesetz der Zustimmung bedarf.

Auswärtiges Amt

Hubertus Klink im Auswärtigen Amt

Unser letzter Programmpunkt war der Besuch des Auswärtigen Amtes, wo uns der leitende Mitarbeiter verschiedener Botschaften und Afrika-Experte Hubertus Klink humorvoll und sehr anregend einen Einblick in die Aufgaben des Auswärtigen Amtes im Allgemeinen und die Anforderungen an die Diplomaten im Besonderen gab. „Das Auswärtige Amt hat Schwierigkeiten, geeignete Bewerber zu finden“, meinte er bedauernd und erläuterte die Gründe. Für die Familien der Diplomaten stehe alle drei bis fünf Jahre der Umzug in ein neues Land an. Die Kinder müssten die Schule wechseln und neue Freunde finden, der Ehepartner müsse den Arbeitsplatz aufgeben und habe u.U. Schwierigkeiten, einen neuen zu finden. Hinzu käme häufig eine angespannte Sicherheitslage, so dass ein umfangreicher Personenschutz die Bewegungsfreiheit und das Privatleben einschränke. Er selbst werde im Sommer wieder eine Stelle in einer Botschaft übernehmen, wisse jetzt Anfang März aber noch nicht, in welchen Staat er abgeordnet werde. Diese familiären Probleme und die geforderte Flexibilität schrecken heutzutage viele junge Leute ab.

Herr Klinks engagierter Vortrag über seine teilweise harten Erfahrungen in autokratischen oder armen Staaten, aber auch über seine Erfolge bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise in der Zentralafrikanischen Republik motivierte viele unsere Schülerinnen und Schüler, über diese Berufslaufbahn nachzudenken. Wie auch bei den anderen Veranstaltungen dankte die Gruppe dem Referenten mit der Überreichung eines Lübeck-Bechers. Der Besuch im Auswärtigen Amt war sicher einer der Höhepunkte dieser bereichernden Fahrt.

Wir danken recht herzlich Frau Gabriele Hiller-Ohm für die Einladung nach Berlin, Frau Dagmar Tartemann als Leiterin des Lübecker SPD-Büros für die Organisation und der Berliner Reiseleiterin Frau Susanne Polkehn für die vielen Informationen über die Entwicklung der Hauptstadt, die sie uns bei den Stadtrundfahrten mit auf den Weg gab.

Ein besonderer Dank geht Herrn Gerhard Tartemann, der uns auf der Fahrt betreute und ein kompetenter Ansprechpartner war.

Die Q2d im Willy-Brandt-Haus

 

Text und Fotos: Sabine Jebens-Ibs