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Plötzlich Präsident


In dieser Situation befanden sich Jan und Justin aus der Q1a, als sie zu Beginn eines Planspiels, bei dem eine Sitzung des Europäischen Rates simuliert wurde, die Rolle von Ratspräsident Donald Tusk und seines Stellvertreters zugelost bekamen.

Die beiden Jugendlichen und elf weitere Mitschüler besuchten am 31.5. die Sonderausstellung „Der Konsens“ im Europäischen Hansemuseum, zu deren Begleitprogramm das Planspiel gehört. Nach einer Kurzführung durch die Ausstellung, in der u.a. die Hörkammer, auch Beichtstuhl genannt, nachgebaut ist, in der der EU-Ratspräsident im Vier-Augen-Gespräch die Regierung eines Mitgliedsstaates ins Gebet nimmt und von einer Konsenslösung zu überzeugen versucht, ging es los mit der Simulation.

Zunächst erhielten die Schülerinnen und Schüler per Zufallsprinzip einen Staat und die Rolle des jeweiligen Regierungschefs zugeteilt. Dann beschäftigten sich die Teilnehmer mit der Position ihres Landes zu zwei aktuellen Themen.

Beim ersten ging es um die Frage, ob die Bildungsabschlüsse europaweit vereinheitlicht werden sollten, was den Arbeitnehmern die Aufnahme einer Beschäftigung im EU-Ausland erleichtern und den Unternehmen ein vergleichbares Qualifikationsniveau der Mitarbeiter gewährleiten würde, egal aus welchem Land sie stammen. Das zweite vorzubereitende Frage war, ob Grenzkontrollen innerhalb der EU wieder eingeführt werden sollten und damit das Schengen-Abkommen, das die ungehinderte Ein- und Ausreise ins EU-Ausland ermöglicht, ausgesetzt werden sollte.

Nachdem alle „Regierungschefs“ ihre Ziele formuliert und Argumente ausgearbeitet hatten, ging es los: Die „EU-Ratspräsidenten“ Jan und Justin eröffneten die Sitzung und bemühten sich, trotz aller Differenzen, die z.B. zwischen Ungarn, vertreten von Aylin und Sebastiaan, und Polen ( Ömer) auf der einen und Deutschland ( Kyle und Julian) und Frankreich ( Henrik) auf der anderen Seite bestanden, einen Konsens herzustellen.

„Das Konsensprinzip, also die Einstimmigkeit, stellt sicher, dass alle Staaten die gemeinsam erarbeitete Lösung auch umsetzen“, erklärte Tim Kunze vom Hansemuseum, der das Planspiel leitete und die Schülerinnen und Schüler bei der Ausarbeitung ihrer Argumentation beriet. Er verdeutlichte diese Problematik an dem Beschluss, die Flüchtlinge nach einem bestimmten Schlüssel auf die Mitgliedsstaaten zu verteilen. Diese Lösung sei nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt worden mit der Folge, dass bestimmt Staaten sich nicht daran hielten. Der Preis des Konsensprinzips sei allerdings, dass die Verhandlungen langwierig seien, oft nur eine Minimallösung die Zustimmung aller finde oder scheiterten.

Wie schwierig es ist, die unterschiedlichen Standpunkte unter einen Hut zu bringen, erfuhren die Schülerinnen und Schüler am eigenen Leib. Die sehr sachlich geführte Debatte zur Vereinheitlichung der Bildungsabschlüsse führte immerhin zu der Minimallösung, dass eine Vergleichbarkeit zumindest angestrebt werde. Auf die europaweite gegenseitige Anerkennung der unterschiedlichen Abschlüsse konnten sich die „Regierungschefs“ der Mitgliedsstaaten nicht einigen.

Bei der Auseinandersetzung um die Einführung von innereuropäischen Grenzkontrollen gingen die „Ratsmitglieder“ auseinander, ohne sich geeinigt zu haben.

Zum Abschluss reflektierten die Schülerinnen und Schüler ihre Erfahrungen mit dem Planspiel:

Mir fiel es schwer, eine Meinung zu vertreten, die ich selbst nicht teile“, äußerte Alina. Hendrik ergänzte: „Ich kann mir vorstellen, dass die Regierungschefs im ´wahren Leben` doch häufig bestimmten Zwängen unterstehen und sich deswegen kompromisslos geben. Wenn z.B. Wahlen im Heimatland anstehen, befürchten sie, dass rechtspopulistische, europafeindliche Parteien Zulauf bekommen, wenn man sich in Brüssel zu kompromissbereit zeigt. Wir hatten diese Verantwortung nicht.“

Soraya resümierte: „Das Planspiel bildete eine gute Ergänzung zu den Unterrichtsinhalten.„Die beiden Themen, die wir debattiert haben, sind aktuell und auch für uns bedeutsam, z.B. wenn wir nach Abitur und Studium im EU-Ausland arbeiten wollen“, äußerte Lea.

Text und Fotos: Mechthild Piechotta