38 Jahre im diplomatischen Dienst – Deutscher Botschafter in Stockholm stellt sich den Fragen des Q1-Jahrgangs
„Außenpolitik im Dialog“, so heißt die Veranstaltungsreihe, mit der das Auswärtige Amt Bürgerinnen und Bürgern die deutsche Außenpolitik näher bringen möchte. In der Thomas-Mann-Schule handelte es sich um 120 Jugendliche des Q1-Jahrganges, die Botschafter Hans-Jürgen Heimsoeth Fragen zu seinen Stationen in der UDSSR zur Zeit Gorbatschows, der Ukraine, Somalia, im Stab des Bundespräsidenten und jetzt in Schweden stellen durften. Moderiert wurde das Gespräch von Seide und Hannes, viele Fragen kamen aber auch aus dem Publikum.
„Wir ticken entlang den gleichen Linien“, meinte der Botschafter zu den deutsch-schwedischen Beziehungen. Man arbeite eng auf UN-Ebene zusammen. Schweden sei zurzeit nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat und um diesen Platz bewerbe sich gerade Deutschland, das sich aber auch schon lange um einen ständigen Sitz bemüht. Zentrale Themen der konstruktiven Zusammenarbeit seien der Klimawandel und die Sicherheitspolitik. Kritisch äußerte sich der Botschafter zur aktuellen Lage: Der Sicherheitsrat müsse angesichts der Zuspitzung der Konflikte in der Ukraine und in Syrien wieder mehr in den Verhandlungsmodus wechseln und an Kompromissen mit Russland arbeiten.
Nach der Zusammenarbeit im Ostseeraum gefragt, meinte der Botschafter, dass es sich bei dem Ostsee-Kooperationsrat eher um ein Konsultations- und Beratungsgremium handele. Beschlüsse könnten hier nicht gefasst werden, denn da bis auf Russland alle Ostsee-Anrainer Mitglied der EU seien, sei Brüssel für die Ausarbeitung von Richtlinien z.B. zum Umweltschutz oder für Maßnahmen, die die Folgen des Klimawandels abfedern, zuständig. Trotzdem sei das Gremium wichtig, weil man sich hier über die Probleme intensiv austauschen, gemeinsame Interessen formulieren und zur Zusammenarbeit in Europa beitragen kann.
Ein Schüler merkte kritisch an, dass sich Schweden bei der neuen EU-Datenschutz-Richtlinie für eine Abschwächungsklausel ausgesprochen habe. „In der Tat, die Schweden haben sich massiv gegen die neuen Datenschutz-Bestimmungen gewehrt. Dass sie letztendlich doch zugestimmt haben, ist langwierigen Verhandlungen zu verdanken“, meinte Herr Heimsoeth. Anders als die durch die NS-Zeit geprägten Deutschen hätten die Schweden großes Vertrauen in den Staat und könnten sich einen Missbrauch ihrer Daten nicht vorstellen.
In Schweden herrscht eine große Transparenz: Jeder kann die Steuererklärung des Nachbarn einsehen und damit erfahren, was der verdient. Man bekommt dann von der Behörde Bescheid, dass jemand Einsicht in die eigene Steuererklärung genommen hat. „In Deutschland wäre das undenkbar“, stellte der Botschafter fest.
Eine Schülerin erlebte in Schweden, dass praktisch alles mit dem Handy oder der Scheckkarte bezahlt wird, und fragte den Botschafter, wie er zur Abschaffung des Bargeldes stehe. Er findet es sehr praktisch, dass man am Flughafeneinfach ins Taxi steigt und am Ziel angelangt kein Portemonnaie zücken muss. Man könne sich sehr schnell daran gewöhnen, den Kaffee oder sogar nur den Kaugummi über das Konto abrechnen zu lassen. „Im Gegensatz zu den Deutschen sind die Schweden sehr aufgeschlossen für technische Neuerungen!“
So sei die Digitalisierung sehr viel weiter vorangeschritten. Er habe auf der Fahrt von Berlin nach Lübeck in Mecklenburg-Vorpommern Funklöcher erlebt und keine E-Mails schicken können; das sei selbst im dünnbesiedelten Nordschweden undenkbar. In Schweden seien auch viele bereit, auf Elektro-Autos umzustellen, zumal das Land bis 2045 aus dem Verbrauch von fossilen Brennstoffen aussteigen will und auf alternative Energien setzt.
„Wie funktioniert das schwedische Sozialsystem und kann Deutschland hier etwas lernen?“, wollte eine Schülerin wissen. Hier äußerte sich der Botschafter etwas zurückhaltender. Sicher funktioniere das schwedische Modell sehr gut, denn es garantiere für alle einen recht hohen Lebensstandard. Die Einstiegsgehälter seien hoch, die Gleichstellung von Mann und Frau weit vorangeschritten und die Versorgung mit Kitas besser als in Deutschland. „Aber mit dem schwedischen Gesundheitssystem ist es schwierig“, meinte der Botschafter, „denn ich bekomme keine Arzttermine und besondere Leistungen müssen extra bezahlt werden.“
„Warum ist die Jugendarbeitslosigkeit in Schweden so hoch und welche Maßnahmen werden ergriffen?“ Herr Heimsoeth erklärte, dass hier vor allem die Migranten betroffen seien, die in den letzten Jahren nach Schweden gekommen seien. Schweden habe immer viele Zuwanderer aufgenommen und diese integrieren können, sei aber mit dem Flüchtlingszustrom 2015 an seine Grenzen gestoßen. Die jungen Leute seien schlecht qualifiziert und könnten nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden, weil es den Niedriglohnsektor in Schweden nicht gibt. Hier seien die hohen Einstiegsgehälter leider auch kontraproduktiv. In Deutschland laufe es mit der Integration zurzeit besser.
Ein Schüler fragte, wie es um das einst vorbildliche Bildungssystem Schweden bestellt sei. Der Botschafter erläuterte, warum Schweden bei der letzten PISA-Studie so schlecht abgeschnitten hat. Die Verantwortung für das Schulwesen ist auf die Kommunen übertragen worden und die Qualität hängt dann sehr von den finanziellen Möglichkeiten einer Gemeinde ab. Es gibt viele Privatschulen, die zwar vom Staat bezahlt werden, aber über die Unterrichtsinhalte selbst bestimmen. Die Curricula sind deshalb sehr unterschiedlich und entsprechen nicht immer den Standards.
Herr Heimsoeth bedauerte, dass nur noch 25% der jungen Schweden eine zweite Fremdsprache lernen. Und das entspricht nicht dem Ziel der EU, dass jeder Europäer neben der Muttersprache mindestens zwei weitere Sprachen beherrschen sollte. „Deshalb werbe ich sehr dafür, dass in den schwedischen Schulen Deutsch wieder mehr als zweite Fremdsprache gewählt wird und den Stellenwert erreicht, den es früher einmal hatte.“
„Worin besteht Ihre Hauptaufgabe als Botschafter in Stockholm?“ Seine Aufgaben in einem EU-Land wie Schweden seien schon deutlich anders als auf seinen früheren Posten wie in Moskau, wo er Berichte über die neue Politik Gorbatschows für den damaligen Außenminister Genscher verfasste, oder in Kiew, wo es um Konfliktmanagement kurz vor der „Orangenen Revolution“ ging. „Die wesentlichen Beschlüsse werden in Brüssel gefasst und sind auf vielen institutionellen Ebenen abgestimmt worden. Da kann man als Botschafter nicht viel ausrichten“, stellte Herr Heimsoeth sachlich fest. Hier gehe es zwar auch um den politischen Austausch, aber die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen stünden im Vordergrund. Da gehe man eben häufiger im Frack zu Veranstaltungen und repräsentiere die Bundesrepublik.
Ob er, wenn er das Rad noch einmal zurückdrehen könnte, etwas in seiner Laufbahn als Diplomat anders gemacht hätte, wollte Hannes zum Schluss seiner Moderation wissen. „Nun ja“, meinte Herr Heimsoeth mit einem Schmunzeln, „ als junger Single hätte ich mir meinen ersten Posten eher in einer westlichen Großstadt gewünscht. Dann in das Krisengebiet Somalia versetzt zu werden und in einem kleinen Team ziemlich auf sich allein gestellt zu sein, war auf den ersten Blick nicht so toll.“ Aber anlässlich eines etwas brenzligen Besuchs in einem somalischen Flüchtlingslager habe er beim Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker einen sehr positiven Eindruck hinterlassen, so dass er dann für fünf Jahre dessen persönlicher Referent wurde und ihn auf vielen interessanten Reisen begleiten konnte. „So ergibt sich eines aus dem anderen. Missen möchte ich keine Station meiner Laufbahn“, meinte der Botschafter.
Wir danken Botschafter Heimsoeth, dass er einen uns so umfassenden Einblick in die deutsch-schwedischen Beziehungen und die Aufgaben eines Botschafters gegeben hat.
Dank gebührt auch Frau Piechotta, die diese bereichernde Veranstaltung organisiert hat, und den Moderatoren Seide und Hannes sowie allen Schülerinnen und Schülern des Q1-Jahrgangs, die sich intensiv vorbereitet haben.
Text: Sabine Jebens-Ibs
Fotos: Sabine Jebens-Ibs, Mechthild Piechotta
Hier der Bericht auf HL-live über die Veranstaltung: