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„Leute von heute in lichten Gedichten“ – Thomas Gsellas komische Lyrik sorgt für Heiterkeit


Ein Gedicht eilte ihm voraus nach Lübeck. Monatelang war „Die Mückenpatsche“ des deutschen Satirikers Thomas Gsella nebst veranschaulichender Originalwaffe im Buddenbrookhaus zu bewundern. Und das brachte uns auf die Idee, Gsella könnte seiner „Mückenpatsche“ nachreisen, um bei uns an der Thomas-Mann-Schule zu Gast zu sein. Zustande kamen gleich zwei Lesungen, in denen Schülerinnen und Schüler aus den Jahrgängen E bis Q2 den Satiriker und Verfasser komischer Lyrik live erleben konnten. Und dem Dichter bereitete es sichtlich großen Spaß, die Schülerinnen und Schüler in dicht besetzter Aula jeweils 90 Minuten lang zu leisem Lächeln und lauten Lachern, zum Nachdenken, Widerspruch und eigenem Dichten zu verleiten.

Verschmitztes Lächeln provozierte der ehemalige Chefredakteur der „Titanic“ bereits zum Auftakt der Veranstaltung mit einigen Titelseiten des Satiremagazins. Gleich darauf zog Gsella, der bereits seit 40 Jahren hauptsächlich komische Gedichte verfasst, alle Register der Reim- und Klischeekunst und mit ihr erst einmal gegen die Lehrerzunft zu Felde.

Die Initiatorin der Lesung, Christina Koschel, begrüßt Autor Thomas Gsella.

Als Lehrerkind weiß der Dichter, wovon er spricht. Von seiner Idee, selbst einer zu werden, habe er Abstand genommen, als Berufsberater seinem Abiturjahrgang davon abrieten. So erzählt Gsella, der von Anfang an seinem jungen Publikum ganz persönlich begegnet, dass er nach seinem Zivildienst drei Jahre lang als Straßenmusiker gelebt habe, aber immer schon geschrieben und schließlich seinen Weg als Redakteur mit Festanstellung bei der „Titanic“ gefunden habe. Gsella hat diese Entscheidung nicht bereut. Er liebt das Schreiben und seine Existenz als freischaffender Künstler und fragt während der Lesung mehrmals in die Runde, ob er jemanden aus dem Publikum davon überzeugen könne, es ihm nachzutun. Dass gerade der Beginn seiner Schriftstellerkarriere nicht einfach war, verschweigt Gsella nicht. Er erklärt, wie sehr freie Schriftsteller darauf angewiesen seien, Verlage für ihre Texte zu finden, und in welch geringer Auflage Gedichtbände – insbesondere, wenn es sich um komische Lyrik handle – in der Regel publiziert würden.

Dass komische Lyrik im Kern immer kommunikativ angelegt ist, vermittelt sich den Schülerinnen und Schülern sofort. Amüsiert erzählt der Autor, wie viele erboste Leserbriefe sein Schmähgedicht auf die Lehrer, erstmals veröffentlicht in einer Kolumne der Süddeutschen Zeitung, dem SZ-Magazin beschert habe. Zahlreiche Lehrer hätten sich offenbar bemüßigt gefühlt, ihm in Reimform zu antworten. Sein Lieblingsexemplar aus diesem Fundus rezitiert er dann auch prompt, einen Text, der „für einen Lehrer ja ganz gelungen“ sei und im Übrigen auch „den formalen Anforderungen“ vollkommen Genüge leiste, wie er lapidar feststellt.

Der Schreiber (Illustration zu dem „Gegengedicht“ eines Lehrers als Reaktion auf Gsellas Lehrergedicht)

Geradezu mit sportlichem Ehrgeiz scheint Gsella ein Ziel zu verfolgen: dichtend kreative Gegenentwürfe zu provozieren. Dies sei ihm mit seinen Berufsgedichten allerdings nicht immer gelungen. Ein Zahnarzt habe mit einer kostenlosen Behandlung gedroht, Maurer hätten gar nicht geantwortet, vermutlich weil sie tausendmal mehr arbeiten würden als Lehrer. Gsella lässt keinen Zweifel daran, für wen sein Herz schlägt. So denkt er an die vielen, die den wenigen „in den blauen Businesshemden“ mit ihrer Arbeitskraft zur Seite stehen, und macht sich seine eigenen Reime darauf, ob die Begrifflichkeiten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber eigentlich korrekt verteilt sind.

Und er erklärt den Schülerinnen und Schülern, wie seine satirischen Dreistropher – mehr Platz räume man der komischen Lyrik in deutschen Zeitungen nicht ein – funktionieren: im Sinne Christian Morgensterns „hell und schnell“, also klar und temporeich, zudem „immer hart an der Klischeegrenze entlang und manchmal auch darüber hinaus“. Diese Zauberformel satirisch-komischer Dichtung wirkt. Man lacht über die Klischees, die in wohlklingenden Reimen noch schräger wirken, als sie es ohnehin schon sind, darüber, wie oft sie sich im Leben bewahrheiten, und nicht zuletzt über sich selbst, weil wir in diesen Klischees denken und uns trotzdem (fast) nie dafür schämen. Der Zuhörer ahnt, was in den nächsten Versen kommt, und doch findet Gsella in seinen Gedichten auch dann, wenn sie mit den altbekannten Vorurteilen ihrer Leser spielen, immer noch eine überraschende Wendung, mit der er die Stellschraube eben noch ein winziges bisschen weiter dreht. Zahnärzte, Psychoanalytiker, Piloten – jeder bekommt sein Fett weg.

Diese Gedichte machen Spaß, und das Publikum lauert zusehends auf den nächsten Seitenhieb, der hier nach allen Regeln der Wort- und Reimkunst ausgeteilt und mit jeder Menge Humor gelegentlich ent-, meistens aber verschärft wird. Lachend sagt Gsella die Wahrheit über kleine und große Katastrophen, vom imaginierten Kinderexperiment am Aquarium mitsamt schockerhitztem Hamster, einer Art moderner Variante der Max-und-Moritz-Streiche von Wilhem Busch, hin bis zu realen Kuriositäten unserer Zeit.

Illustration zu Kindergedicht
Harry und Meghan

Die persönliche Lebensplanung von Prinz Harry und Herzogin Meghan, Söders Kreuzpflicht-Erlass im letzten Sommer, Scott Morrisons (rauchschwaden-) vernebelter Blick auf den Klimawandel, die intelligenzbefreite Echo-Preisverleihung an ein ebensolches Sängerduo, das rappend vor Auschwitzopfern keinen Halt fand – Gsella schlägt zu. Und eine Carola Rackete, die couragiert in Seenot geratene Flüchtlinge rettet und – weil sie sich auf’s rechte Handeln versteht – die Menschen wieder an Land bringt, lässt Gsella – was auch sonst? – zur Rakete mutieren, die er zielsicher und mit scharfem Wortwitz in Richtung Salvini abschießt.

Unverdrossen schreibt Gsella gegen die derzeit „weltweit zu beobachtende Zerstörung der Demokratie durch Populisten und andere Kriminelle, Hetzer, Demagogen und Kriegstreiber“ an und führt sein Publikum vor allem an jene dunklen Abgründe, die sich auftun, wenn man es in Deutschland und anderswo auf dieser Welt mit der Mitmenschlichkeit nicht so genau nimmt.

Bei alledem moralisiert Thomas Gsella nicht, erklärt den Schülerinnen und Schülern nur mit knappen Worten Hintergründe und Anlässe zu Texten und lässt viel Raum für die Reaktionen seiner Zuhörerinnen und Zuhörer, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Darf man angesichts der Tatsache, dass wir im Klimadrama unbeirrt Kurs auf eine Katastrophe nehmen, konsumverwirrten Kreuzfahrtpassagieren den Tod wünschen – „Bermuda-Dreieck, sei so gut / Und walte deines Amtes“? Ist es in Ordnung, sein tiefes Bedauern darüber in Versform zu bringen, dass Helene Fischer zwar „in Sibirien geboren, / Aber leider nicht geblieben“ ist? Und wenn Gsella „Gerechtigkeit“ walten lässt und sich deshalb zwei „charakterstarken Persönlichkeiten“ widmet, die seiner Ansicht nach an der Seite von Donald Trump „bedauerlicherweise immer etwas ungewürdigt“ blieben, dann bereimt er die makellose Schönheit Melania und Ivanka Trumps nicht in barocker Manier als vergänglich und todgeweiht, sondern verklärt die beiden kurzerhand bereits zu Lebzeiten zu Untoten:

„Der Rumpf ist Teflon / Elastan,

Das macht ihn leicht gallertig.

Am Schluß zwei Totenköpfe dran,

Glasaugen rein – zack, fertig?“

Dies sind die Momente, die Gsella nutzt, um die Schülerinnen und Schüler aus der Reserve zu locken. Ist das frauenfeindlich, gar menschenverachtend? Haben aufgebrachte Leserinnen und Leser seiner Stern-Kolumne Recht? Der Satiriker will es wissen, und sein Publikum antwortet ehrlich. Dass in der Aula dem einen oder der anderen das Lachen gelegentlich im Halse stecken bleibt, weil manche Wahrheit so bitter ist, auch das wird erfahrbar in diesem Live-Auftritt.

Nach einigen Kostproben seiner Schmähgedichte auf deutsche Städte sind dann die Schülerinnen und Schüler selbst an der Reihe. Im Handumdrehen entstehen Zwei- oder Vierzeiler zu Lübeck, in denen – wie der Dichter anerkennend feststellt – „wahre Heimatliebe“ ihren lyrischen Ausdruck findet mitsamt allem, was die Stadt zu bieten hat: blasiertem hanseatischen Stolz, Buntekuh und lübscher Piefigkeit – am Ende ertönt gar ein freimütiges Liebesbekenntnis zu Kiel.

Schüler tragen ihre eigenen Gedichte vor

Wie schön, Schule einmal auf diese Art und Weise erleben zu können – immer in gespannter Erwartungshaltung auf die nächste Pointe, auf den nächsten scharfklingigen Seitenhieb auf jeden und alles – denn dass Satire und mit ihr die komische Dichtung (fast) alles darf, daran lassen Gsellas Texte keinen Zweifel.

Text und Fotos: Christina Koschel

Ein Hinweis für alle, die an der Lesung nicht teilnehmen konnten, aber gern dabei gewesen wären: Die hier zitierten Texte hängen ab sofort zum Nachlesen und Weiterlachen auch in der Pausenecke der Oberstufe im ersten Stock und sind am Ende dieses Beitrags zu finden.