E-Mail schreiben

0451-12285700

Karl IV, Kommunismus und Kaugummi  – Die Klasse Q2b erlebt die Kultur und Geschichte Tschechiens in Prag


Sie ist die Heimatstadt der Schriftsteller Franz Kafka und Rainer Maria Rilke. Mozart hat hier seine Oper Don Giovanni uraufgeführt, Beethoven die berühmte Waldsteinsonate komponiert. Die tschechische Hauptstadt Prag war und ist Anziehungspunkt für Künstler aller Art. Auch berühmte Architekten prägten und prägen noch heute das Gesicht der Stadt. Davon bekamen wir sofort nach der Ankunft einen Eindruck. Unser erster Weg führte in die historische Bahnhofshalle, ein Juwel des Jugendstils.

Und damit waren wir eingestimmt auf das, was uns in den fünf Tagen immer wieder aufs Neue staunen ließ: Prag – nicht umsonst als goldene Stadt bezeichnet – ist geprägt von der Architektur des Klassizismus, des Jugendstils, Art Decos und Kubismus´ wie kaum eine andere Metropole Europas. Auch im Viertel Žižkov, das Prager Montmartre genannt, in dem unser wunderschönes Hotel Theatrino liegt, stammen die Häuser aus der Zeit der Jahrhundertwende und vom Anfang des 20. Jahrhunderts. 

Beim abendlichen Rundgang nach unserer Ankunft bummelten wir über den geschichtsträchtigen Wenzelsplatz unterhalb des beleuchteten Nationalmuseums, den Altstädter Ring mit Rathaus, die kleinen Gassen Richtung Moldau mit allerlei Touristen-Nepp und gelangten zur berühmten Karlsbrücke mit den steinernen Heiligenfiguren. Von dort genossen wir den Blick auf die angestrahlte Prager Burg und die Adelspalais an deren Fuß, u.a. das des Grafen Waldstein, über den Beethoven die gleichnamige Sonate komponierte. 

Unter der sachkundigen Leitung von Kristina Klimesova erkundeten wir die Altstadt am nächsten Morgen von der Kleinseite aus, begannen beim Denkmal für die Opfer des Kommunismus,

spazierten über die Insel Kampa an der Moldau entlang zu einem Museum für moderne Kunst mit beeindruckenden Skulpturen zur John Lennon Mauer.

Ihre Geschichte ist ein Dokument des Widerstandes gegen kommunistische Bevormundung. Dann ging es über die Karlsbrücke mit dem Heiligen Nepomuk, der das Beichtgeheimnis der Gemahlin des Königs wahrte und dafür zum Tode verurteilt und in der Moldau ertränkt wurde. Das Berühren der Gedenkplakette soll Wünsche wahr werden lassen, wovon wir uns selbst zu überzeugen suchten.

Vorbei am Clementinum mit seiner berühmten Klosterbibliothek ging es zur heutigen Stadtbibliothek am Marienplatz. Den Besucher empfängt ein Turm aus Büchern an dessen Boden ein Spiegel liegt, sodass die Bücherwand ins Unendliche verlängert wird. Die Skulptur steht für das unendliche Wissen und die Wahrheit, die in Büchern steckt – ein Statement gegen die Bevormundung durch die faschistische und kommunistische Diktatur, die die Tschechen erduldet haben.

Am Altstädter Ring ist im ehemaligen Gymnasium, das Franz Kafka besuchte, heute die Nationalgalerie untergebracht.

Der Umgang der zwölf Apostel in zwei Fenstern der astronomischen Uhr am Altstädter Rathaus ist ein Spektakel, das hunderte Touristen zu jeder vollen Stunde mit Handy bewaffnet verfolgen.

Nach der Mittagspause widmeten wir uns der Geschichte der Prager Juden. Auf dem Weg nach Josefov machten wir einen Abstecher in das tschechische Hauptpostamt, das verkauft wurde und bald nicht mehr öffentlich zugänglich sein wird. Es diente schon mehrfach als Filmkulisse wie viele andere Gebäude auch.

Seit dem 4. Lateran Konzil von 1215 mussten die Juden von der christlichen Mehrheitsbevölkerung getrennt leben. Das Prager Ghetto gehört mit dem in Frankfurt zu dem einzigen, das im Spätmittelalter noch Bestand hatte. Aus allen übrigen Städten wurde die religiöse Minderheit vertrieben. Eine Vielzahl an Synagogen zeugt von der reichen Kultur der Juden in Prag. Die Jerusalem-Synagoge ist neben der spanischen das Bethaus der sephardischen Juden, die nach 1492 von der iberischen Halbinsel vertrieben wurden, und wurde im maurischen Stil errichtet.

Das Thema Vertreibung und Verfolgung bekam für uns eine ungewollte Aktualität, denn zwei Tage vor unserem Besuch hatten palästinensische Terroristen aus dem Gaza-Streifen Israel angegriffen und Israel das Kriegsrecht ausgerufen und zum Gegenschlag ausgeholt.

Am Mittwoch ging es mit dem Bus nach Theresienstadt. Die Festung wurde von den Habsburgern zur Verteidigung gegen die Preußen Ende des 18. Jahrhunderts erbaut und nach Maria Theresia benannt. Sie diente im Dritten Reich als Konzentrationslager. Dorthin wurden tschechische Intellektuelle, Politiker und Juden verschleppt.

Ab 1942 diente Theresienstadt als Durchgangslager für Judentransporte in die Vernichtungslager.

Hier Karel Fleischmanns Zeichnung „Registrierung für den Transport“ von 1943.

Zunächst sahen wir einen Film, der aus Szenen des NS-Propagandafilms „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ zusammengeschnitten war. Dort sieht man Fußball spielende Menschen und jubelndes Publikum, strickende Frauen einträchtig am Tisch sitzen und Kartenspieler in froher Runde. Unterlegt war der Film mit dem Verlesen der Statistik der Transporte. Von 1000 Deportierten haben nicht mal 1% überlebt. Die Stimme aus dem Off entlarvt die Bilder als Lüge.

Was uns am meisten beeindruckte, waren die zahlreichen künstlerischen Werke von Deportierten.

Kunst im KZ? Unter den Bedingungen von Überbelegung der Quartiere mit 80 Menschen auf engstem Raum in 3-stöckigen Betten, nur einer Waschschüssel und ohne Privatsphäre, gequält von Ungeziefer, Krankheiten und Hunger?

F.M. Nagels Bild „Unterkunft in einer Kaserne“ aus dem Jahr 1943.

So unvorstellbar es ist: Kreativ zu sein, war eine Form, psychisch zu überleben, seine Menschenwürde zu bewahren. Unsere Begleiterin Kristina las das Gedicht „Als ob“ von Leo Straus vor. Es thematisiert das Kulissenhafte des Ghettos, das für eine Inspektion durch das IKRK 1944 Monate im Voraus von den Bewohnern aufgehübscht werden musste, um die wahren Zustände zu verschleiern.

Amelina entdeckte die Ankündigung einer Aufführung des Romans „Emil und die Detektive“ und der Sage vom „Rattenfänger von Hameln“ durch Kinder des Lagers.

Am Donnerstag besuchten wir den Hradschin mit der Prager Burg.

Zunächst spazierten wir durch den weitläufigen Park mit einem Renaissance-Ballhaus, in dem Angehörige des Königshofes der damaligen Mode gemäß sich dem Ballspiel widmeten.

Kristina machte uns darauf aufmerksam, dass die Restauratoren in sozialistischer Zeit das Attribut der Fortuna in Hammer und Sichel verwandelt hatten.

Die Kathedrale im Burghof schmückt eine Fülle von Kunstwerken. Glasfenster des Jugendstilmalers Alfons Mucha, die Wenzelskapelle mit der Krone der tschechischen Könige, der silberne Sarkophag des Heiligen Nepomuk, zu allem erzählte uns Kristina, welche Bedeutung sie für die tschechische Geschichte haben.

Nachdem wir den Raum besucht hatten, in dem sich der Prager Fenstersturz, Auslöser des Dreißigjährigen Krieges, abgespielt hatte, verfolgten wir das Schauspiel der Wachablösung im Hof. Danach ging es auf der Krönungsgasse bergab Richtung Karlsbrücke.

Danach stand Freizeit auf dem Programm, bis wir uns wie jeden Abend in einem Lokal zu typisch tschechischem Svíčková na smetaně, Rinderbraten mit böhmischen Knödeln in Sauce aus passiertem Gemüse, wiedertrafen.

Anschließend streiften wir in Kleingruppen durch die Altstadt zu den Lichtinstallationen des jährlichen Signal-Festivals. Prag bewahrt nicht nur ein umfangreiches historisches Erbe, sondern stellte sich uns als lebendige und moderne Stadt dar.

Am Abreisetag gab es zunächst etwas Aufregung: Fährt unser Zug? Fährt er nicht? Wir vertrauten auf die Auskunft der tschechischen Bahn, die dann auch zutraf, und reisten wie geplant zurück.

Zuvor nahmen wir Abschied von der tschechischen Hauptstadt mit einem Besuch des Nationalmuseums. In dessen prächtiger Eingangshalle wurden die Innenaufnahmen des Films „Mission Impossible“ gedreht.

Von der Kuppel hatten wir einen fantastischen Blick über die Stadt und konnten alle Bauwerke lokalisieren, die wir in diesen fünf intensiven Tagen besucht hatten.

Und das Kaugummi? Das bekamen wir von Kristina geschenkt.

Kaugummi galt im Kommunismus als westlich dekadent, war aber in der tschechischen Gesellschaft so beliebt, dass die kommunistische Führung sich gezwungen sah, ein eigenes Produkt zu entwickeln, um die Bevölkerung zufrieden zu stellen. Ein kleiner Sieg der Menschen über ein unterdrückerisches System.

Text und Fotos: Mechthild Piechotta