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„Demokratie lebt vom Kompromiss!“ Die Q2a gewinnt Einblicke in das politische Geschehen der Gegenwart und Vergangenheit


Vom 26. Bis 28. Februar 2020 besuchte die Q2a unter Begleitung durch Herrn Klingebiel und Frau Jebens-Ibs auf Einladung der Lübecker Bundestagsabgeordneten Gabriele Hiller-Ohm (SPD) die Bundeshauptstadt Berlin.

Mit dem Ziel, Einblicke in das politische Leben zu gewähren und damit die politische Bildung zu fördern, können die Mitglieder des Bundestages zweimal im Jahr Bürger*innen aus ihrem Wahlkreis zu einer politischen Fortbildung nach Berlin einladen. In der Regel nehmen Senior*innen an der Fahrt teil, weil sie freier über ihre Zeit verfügen können. Außergewöhnlich ist es, dass an den Fahrten der MdB Hiller-Ohm Schulklassen teilnehmen können. Die gemeinsame Fahrt von Älteren und Jugendlichen hat sich bewährt, denn es fördert nebenbei das Verständnis der Generationen füreinander. So war es für die Thomas-Mann-Schule die achte Fahrt mit Gerhard Tartemann, der im Auftrag der Abgeordneten und mit ihrem Lübecker Büro sowie der Bundespressestelle die Fahrt organisiert und leitet.

Am Mittwochmorgen wurden wir um 8.00 Uhr von Frau Hiller-Ohm verabschiedet, denn sie blieb in Lübeck, weil in Berlin keine Sitzungswoche stattfand. Vor uns lag ein dicht gedrängtes Programm, das mittags mit einem Essen auf dem Fernsehturm am Alexanderplatz begann.

Fernsehturm

Leider war die Sicht sehr schlecht, so dass man wenig von Berlin erkennen konnte. Erst als wir den Turm verlassen hatten, klarte es auf. Auf der Fahrt zum Bundeskanzleramt erklärte unser Reiseführer vom Bundespresseamt, Peter Wawrzyniak, mit Berliner Witz die aktuellen Baustellen der öffentlichen Gebäude und nannte jeweils die Kosten, die die Steuerzahler dafür aufbringen müssen.

Humboldt-Forum

So wird im Zentrum für 644 Millionen Euro das Berliner Stadtschloss wiederaufgebaut, das als Humboldt Forum das Ethnologisches Museum und das Museum für Asiatische Kunst sowie Bibliotheken und Versammlungsräume beherbergen wird. Nach siebenjähriger Bauzeit soll es im September 2020 eingeweiht werden.

Baustellen in ganz Berlin, also auch zwischen Bundeskanzleramt und Reichstag. Hier versuchte eine Nebelkrähe unter Aufbietung aller Kräfte, eine leere Lunchtüte zu öffnen, um die letzten Krumen zu erhaschen.

Reichstagsgebäude
Die Q2a vpr dem Kanzleramt
Nebelkrähe

Das politische Programm: Bundeskanzleramt – Bundestag – Landesvertretung Schleswig-Holsteinische Landesvertretung – Willy-Brandt-Haus – Auswärtiges Amt

Nach einem Film, der die Aufgaben und die Abteilungen des Bundeskanzleramtes mit seinen rund 750 Mitarbeiter*innen darstellte, bekamen wir durch die Führung einen Eindruck von dem repräsentativen Charakter des Amtssitzes der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Aus dem Foyer blickt man auf den Ehrenhof, in dem die Gäste mit militärischen Ehren empfangen werden.

Im Foyer des Bundeskanzleramts
Großer Sitzungssaal
Kabinettssaal

Von einem aus Großbritannien stammenden Literaturwissenschaftler wurden uns nicht nur der große Sitzungssaal oder der Kabinettsaal, in dem immer am Mittwochmorgen alles Bundesminister zu einer Besprechung zusammenkommen, sondern auch die Kunstwerke erklärt. In den Porträts der sieben bisherigen Kanzler der Bundesrepublik wird auch immer deren Kunstverständnis sichtbar, das bei der Auswahl des Künstlers beginnt.

Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner im Kabinettssaal
Galerie der Kanzlerportäts

Wie schon am Vortag beim Bundeskanzleramt mussten wir uns am Donnerstagmorgen rechtzeitig um 8.30 Uhr beim Sicherheitscheck des Bundestages einfinden. Da keine Sitzungswoche war, konnte uns ein versierter Politologe mit einem interessanten und launigen Vortrag auf der Empore über dem Plenum in die Arbeit der Parlamentarier einführen. Er erläuterte die historischen Wurzeln der Sitzordnung von linken und rechten Parteien und verdeutlichte die Schwierigkeiten bei dem Einbau neuer Sitze, wenn bei der nächsten Wahl die Zahl der Abgeordneten von jetzt 709 nochmals steigen sollte. Diskutiert wird eine Wahlrechtsreform, die im März verabschiedet werden müsste, um für die nächste Bundestagswahl 2021 noch wirksam werden zu können. „Aber jede bisher diskutierte Maßnahme würde zu Sitzverlusten bei der einen oder anderen Partei führen. Deshalb ist bisher kein Kompromiss erzielt worden“, stellte der Referent fest.

Gruppe auf der Empore im Bundestag
Blick in den Plenarsaal

„Hat sich die Arbeit des Bundestages durch die AfD verändert“, wollte ein Schüler wissen. Der Referent erklärte, wie die AfD durch unsinnige Anträge ohne fachliche Expertise und häufige Anträge auf namentliche Abstimmung den effizienten Ablauf der Sitzungen behindere. Die Sitzungen würden in die Länge gezogen, dauerten bis tief in die Nacht und einige Abgeordneten seien schon zusammengebrochen. Dabei geschehe die eigentliche Arbeit in den Ausschüssen und in den Fraktionen, die sich über das Abstimmungsverhalten abstimmten.

Sehr interessant waren die Ausführungen zur Geschichte des Reichstagsgebäudes und die Auseinandersetzungen mit dem britischen Architekten Foster, der etliche Entwürfe einreichen musste, bis die Form der Kuppel bei den politischen Entscheidern auf Zustimmung stieß. Auseinandersetzungen mit dem Architekten gab es auch um die Aufhängung des Bundesadlers, den die Politiker als Symbol der deutschen Demokratie nicht aufgeben wollten. Die Form des Adlers war schon in der Bonner Republik in Abgrenzung zum schlanken, aggressiven Vogel der NS-Zeichen abgewandelt worden. „Er wurde dicker und behäbiger, der Volksmund nennt ihn die ‚fette Henne‘“, merkte der Referent süffisant an. Foster habe dem von ihm ungeliebten Adler aber eine andere Rückseite verpasst. Diese konnten wir leider nicht sehen.eHHen

Bundesadler
Vortrag der Mitarbeiterin Martina Sommerfeld

Im Anschluss gab uns Frau Martina Sommerfeld einen Einblick in die Arbeit der Abgeordneten Hiller-Ohm, die den Ausschüssen für Tourismus sowie für Arbeit und Soziales angehört.

Frau Sommerfeld arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abgeordneten zu, recherchiert, schreibt Reden, bereitet Vorlagen vor und nimmt Termine wahr. Sie zählte die Termine Frau Hiller-Ohms in der Sitzungswoche auf: Vorbereitung der Ausschussarbeit in der Fraktion, Treffen mit den SPD-Abgeordneten aus Schleswig-Holstein sowie mit der „Küstengang“, den Abgeordneten der Küstenländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, Sitzung der Gesamt-Fraktion, die eigentliche Ausschussarbeit, dazu Parlamentarische Frühstücke oder Abendessen mit Verbänden und anderen Interessengruppen. Kritisch wurde hier die Arbeit der Lobbyisten hinterfragt. Die Referentin verdeutlichte, dass ohne die Zusammenarbeit mit Experten und Interessengruppen kein ausgewogenes Urteil über die jeweiligen Interessen zu erreichen sei. Gerade im Bereich von Arbeit und Soziales müsse mit vielen geredet werden, um die Nähe zu den Bürger*innen zu bekommen.

Unser Besuch im Reichstag endete mit dem obligatorischen Rundgang auf der Kuppel.

Auf der Kuppel
In der Schleswig-Holsteinischen Landesvertretung

In der Schleswig-Holsteinischen Landesvertretung wurden wir nach dem Mittagessen von der Referentin Simone Stamme über die Aufgaben des Bundesrates im Allgemeinen und die Aufgaben der Landesvertretung im Besonderen informiert.

Referentin Simone Stamme

Anhand einer Graphik verdeutlichte sie, wie schwierig es wegen der bunten parteipolitischen Zusammensetzungen der 16 Bundesländer ist, zu Mehrheitsbeschlüssen im Bundesrat zu gelangen. Diese Beschlüsse beziehen sich auf Gesetze des Bundestages, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Als Beispiel führte sie die Diskussion um das Organspendegesetz an, bei dem die Entscheidung darüber zu treffen war, ob die Bürger*innen per se Spender*innen sein sollten und aktiv Widerspruch einlegen müssten, wenn sie ihre Organe nicht zur Verfügung stellen wollen. In der schleswig-holsteinischen Landesregierung mit der Koalition von CDU, Grünen und FDP wurde keine einhellige Meinung erzielt und so enthielten sich die schleswig-holsteinischen Mitglieder bei der Abstimmung im Bundesrat. Hier ist bei 69 Mitgliedern eine Mehrheit bei 35 Stimmen erreicht, wobei nur die Ja-Stimmen, nicht aber die Enthaltungen zählen. „Mit Enthaltungen kann man nicht gestalten“, meinte die Referentin zu dieser problematischen Situation.

Ihre Erläuterungen machten deutlich, wie umfangreich die Aufgaben der Mitarbeiter*innen in der Landesvertretung sind. So werden Beobachter*innen in die Ausschüsse des Bundestages geschickt, Vertreter*innen der Landes nehmen an den Plenarsitzungen des Bundestages teil, in den Räumen der Landesvertretungen tagen die schleswig-holsteinischen Bundestagsabgeordneten der CDU und der SPD und es wird Kontakt zu der Vertretung der Europäischen Union am Pariser Platz gehalten.

Zudem finden hier auch Ausstellungen und viele andere kulturelle Veranstaltungen statt. „Wir werben auf diese Weise für unser Land“, begründete Simone Stamme das Engagement. „Gestern Abend fand im Rahmen der Berlinale ein Treffen der Regisseure statt. Da wurde nicht zu knapp gefeiert.“

Nach dem Besuch der Landesvertretung wurden wir mit dem Bus zum Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale der SPD, gebracht, wo es um die Zukunft der SPD ging. Die Mitarbeiterin Brigit Brüns vermittelte uns die Ideen, die hinter der Architektur des beeindruckenden Gebäudes stehen (Transparenz, Ökologie, Klimaneutralität), und ging ausführlich auf die überdimensionale Willy-Brandt-Statue im Atrium des Hauses ein. Der Künstler Rainer Fetting habe Willy Brandt als Menschen dargestellt, der auf andere zuging, der seine Ecken und Kanten hatte, aber auch politische Visionen entwickelte und umsetzte.

Im Willy-Brandt-Haus

Im Tagungsraum im 4. Stock sahen wir zunächst einen Werbefilm der SPD, der uns verdeutlichen sollte, an wie vielen Stellen parteipolitisches Engagement ansetzt. Die SPD hat aktuell über 420 000 Mitglieder, die sich in 8000 Ortsvereinen mehr oder weniger aktiv an der politischen Arbeit beteiligen. In der folgenden Stunde erläuterte uns die Referentin Wiebke Neumann den Aufbau der SPD mit ihren Gremien und die Ziele, die sich die SPD für die nächsten Jahren gesetzt hat.

Referentin Wiebke Neumann

In ihrer Präsentation wurden vor allem sozialpolitische Beschlüsse der SPD dargestellt. Faire Löhne, ein Mindestlohn von 12,00 Euro, statt Hartz-IV ein Bürgergeld, das Recht auf Homeoffice, Berücksichtigung der Lebensleistung beim Arbeitslosengeld, die Kindergrundsicherung beziehen sich auf den Bereich der Arbeit. Darüber hinaus soll bezahlbarer Wohnraum in den Ballungsräumen geschaffen werden. Das Plakat „Gleichstellung und Vielfalt“ zielt einerseits auf die Beseitigung von Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen, andererseits auf die umfangreichen Aufgaben bei der Integration von Zugewanderten. Leider blieb es beim Vortrag, der mit seiner klaren Gliederung kaum Anhaltspunkte für Fragen oder Diskussionen bot.

Am Freitagnachmittag endete unser politisches Programm mit einem sehr kurzweiligen Vortrag von Christian Seiffert im Auswärtigen Amt, der uns als seine schleswig-holsteinischen Landsleute freudig auf Platt begrüßte.

Referent Christian Seiffert

Herr Seiffert stellte zunächst sehr humorvoll seinen eigenen Werdegang dar: „In Preetz geboren, in Preetz zur Schule gegangen und Abitur gemacht, in Preetz  bei der Sparkasse gelernt, in Preetz auch die Frau kennengelernt, die aus Plön stammt und dort bei der Bank war.“ Als er dann Lust hatte, etwas Neues anzufangen, hatte seine Frau die Idee, dass er sich beim Auswärtigen Amt bewerben könne. Da saß er dann in der Vorstellungsrunde mit Bewerbern, die aus Diplomatenfamilien stammten oder beruflich bzw. im Studium weit in der Welt herumgekommen waren. „Und ich konnte nur Preetz anführen.“ Trotzdem sei er genommen worden und habe sich in den abgelegenen und unbeliebten Orten der Kategorie III wie z.B. Ulan Bator als Konsularbeamter bewähren müssen.

Herr Seiffert gab sehr humorvoll und sehr anregend einen Einblick in die Aufgaben des Auswärtigen Amtes im Allgemeinen und die Anforderungen an die Diplomaten im Besonderen. Nicht immer sei es für das Auswärtige Amt einfach, Bewerber zu finden. Für die Familien der Diplomaten stehe alle drei bis fünf Jahre der Umzug in ein neues Land an. Die Kinder müssten die Schule wechseln und neue Freunde finden, der Ehepartner müsse den Arbeitsplatz aufgeben und habe u.U. Schwierigkeiten, einen neuen zu finden. Hinzu käme häufig eine angespannte Sicherheitslage, so dass ein umfangreicher Personenschutz die Bewegungsfreiheit und das Privatleben einschränke. Er selbst habe keine Kinder und seine Frau habe immer alles mitgemacht. Im Sommer werde er sich wieder um eine Stelle bewerben und dann heiße es wieder die Koffer zu packen.

Nach diesem letzten Programmpunkt traten wir die Heimreise an und waren gegen 20.00 Uhr wieder in Lübeck.

Erinnerungskultur

Die Berlin-Fahrt war auch deshalb sehr wertvoll für unser politisches Verständnis, weil unser Reiseleiter Peter Wawrzyniak während der Stadtrundfahrten immer Wert darauflegte, Gedenkstätten aufzusuchen und deren historische Hintergründe zu erklären.

In unmittelbarer Umgebung des Reichstagsgebäudes erläuterte er das Ehrenmal für die sowjetischen Soldaten, die im Mai 1945 Berlin unter großen Verlusten eroberten. Wir entdeckten beim Einlass zum Bundestag die Gedenktafeln für die 96 Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden, darunter der Lübecker SPD-Abgeordnete Julius Leber, und folgten Herrn Wawrzyniaks Ausführungen zur Verfolgung der Sinti und Roma, der mit einer Wasserfläche in einer Grünanlage in Sichtweite des Reichstages gedacht wird. Täglich wird auf dem schwarzen Dreieck in der Mitte (das Kennzeichen der Sinti und Roma in den Konzentrationslagern) eine weiße Rose niedergelegt.

Ehrenmal für die sowjetischen Soldaten
Denkmal für die ermordeten Reichstagsabgeordneten
Tafel für Julius Leber
Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma
Tafeln mit den Namen der Konzentrationslager
Denkmal für die ermordeten Homosexuellen

In der Nähe der schleswig-holsteinischen Landesvertretung guckten wir in den Kubus, der zur Erinnerung an die verfolgten Homosexuellen errichtet wurde und leider immer wieder geschändet wird. Die Video-Installation im Innern zeigt den Kuss zweier Männer, verbunden im Hintergrund mit dem Strick eines Galgens. Das Denkmal verdeutlicht, dass die Verfolgung Homosexueller nach wie vor aktuell ist.

Holocaust-Mahnmal
Denkmal für die ermordeten Widerständler des 20. Juli

Auf der Straßenseite gegenüber gingen wir durch das Feld mit 2711 Stelen, das der New Yorker Architekt Peter Eisenman als Mahnmal für die 6 Millionen ermordeten Juden Europas entworfen hat. Manche Schülerinnen und Schüler hatten bei früheren Berlin-Besuchen zwar davorgestanden, hatten damit aber nichts anfangen können. Erst durch die Erläuterungen unseres Reiseleiters und die räumliche Erfahrung erschloss sich ihnen das Mahnmal.

Im Innenhof des Bendlerblocks, dem heutigen Vertreidigungsministerium

Zudem hatten wir Gelegenheit, im Innenhof des Bendler-Blocks, dem Verteidigungsministeriums, die Gedenkstätte für die Offiziere des 20. Juli 1944 zu besuchen. Herr Warwrzyniak erläuterte die Hintergründe des Aufstands der Offiziere und verdeutlichte auch die politischen Positionen der konservativen adligen Offiziere, die ihre Treue zu Hitler erst aufgaben, als der Krieg verloren schien.

Hohenschönhausen, das Gefängnis der Staatssicherheit

Einen Höhepunkt unserer Fahrt bildete sicher der Besuch der Gedenkstätte Hohenschönhausen am Freitagmorgen, in der die Klasse Q2a von dem Zeitzeugen Gilbert Gudian einen tiefgreifenden Einblick in die Methoden der Staatssicherheit der DDR bekam. Gudian war als 40-Jähriger in das auf keiner Karte verzeichnete Untersuchungsgefängnis in einem verschlossenen Kastenwagen eingeliefert worden, weil er 1984 Interviews mit Ostberliner Punks geführt, seine Aufzeichnungen in 100 Exemplaren am Arbeitsplatz heimlich gedruckt und an Freunde verteilt hatte. Erwischt wurde er, weil bei seiner Mutter, die als Rentnerin in die BRD reisen konnte, seine Schrift von Zöllnern entdeckt wurde. Er selbst wurde zunächst ein halbes Jahr lang nur beobachtet und dann inhaftiert. Er zeigte uns seine Schrift, die zur Verurteilung geführt hatte, und auch seine Stasiakte.

Zeitzeuge Gilbert Gudian
Gefangenentransporter

Anschaulich schilderte er die Zustände in den frühen Zeiten des Stasi-Knastes, als körperliche Gewalt angewandt wurde und die Leute in dunklen Zellen unter unzumutbaren hygienischen Verhältnissen eingekerkert waren. Wer durchdrehte, kam u.U. für Tage in eine dunkle Gummizelle. „In den 70er Jahren änderte sich das“, erläuterte Gudian. „Die Zellen hatten jetzt ein WC mit Wasserspülung. Und die Verhörmethoden setzten auf psychologischen Druck.“ Er habe das alles nur durchgehalten, weil er sich nicht über die Zustände aufregte wie andere, sondern tagsüber in eine Art Halbschlaf verfiel.

Seine eigentliche Haftzeit von 3 ½ Jahren saß Gudian dann in Cottbus ab, wo er auch Besuch empfing. Wie eng es auf den Gefangenentransporten zuging, wurde uns bei der Besichtigung eines Eisenbahnwaggons deutlich.

Zelle im Trakt, der U-Boot genannt wurde
Moderne Gefängniszelle aus den 70er Jahren
Eisenbahnabteil für den Gefangenentransport
Gefängnishof

Seine Erlebnisse hat Gudian in einem Buch niedergeschrieben. „Und mein größter Triumph war, dass ich nach der Wende meinen Verhöroffizier auf der Rolltreppe eines Kaufhauses traf und er sich mit mir zu einem Interview verabredete. Er war sogar bei meiner Buchvorstellung dabei und ließ sich mit mir fotografieren!“ Diesen Triumpf über seinen Widersacher merkt man ihm heute noch an.

Weil diese Fahrt den großen Bogen von der heutigen aktuellen Politik in demokratischen Strukturen zu den deutschen diktatorischen Regimen der Vergangenheit zog, war sie außerordentlich bereichernd für die Erziehung zur Demokratie.

Dazu passt auch der dringliche Appell von Christian Seiffert im Auswärtigen Amt: „Passen Sie auf, dass die Gegner der Demokratie nicht die Überhand gewinnen. Glauben Sie nicht daran, dass es einfache und schnelle Lösungen gibt. Zur Demokratie gehören der Streit und der Kompromiss. Demokratie lebt vom Kompromiss!“

Wir danken recht herzlich Frau Gabriele Hiller-Ohm für die Einladung nach Berlin, Frau Dagmar Tartemann als Leiterin des Lübecker SPD-Büros für die Organisation und dem Berliner Reiseleiter Peter Warwrzyniak für die vielen Informationen über die Entwicklung der Hauptstadt und die Denkmäler.

Ein besonderer Dank geht Herrn Gerhard Tartemann, der uns auf der Fahrt betreute und ein kompetenter Ansprechpartner war.

Text und Fotos: Sabine Jebens-Ibs